GLORIA! (OmU/DF)
Cinema italiano
Keusches Film-Musical auf inbrünstiger Reise durch die Musikgeschichte
Venedig, Anfang des 19. Jahrhunderts: In dem verwahrlosten, heruntergekommenen Waisenhaus St. Ignazio ist die stumme Teresina eines von vielen Mädchen unterschiedlichen Alters. Doch während die anderen Mädchen im Chor singen dürfen und lernen, Musikinstrumente zu spielen, muss Teresina wie Aschenputtel die miesesten Arbeiten verrichten. Niemand in ihrer Umgebung ahnt, dass Teresina in Wahrheit sehr talentiert ist – sie ist ein musikalisches Genie. Die Geräusche, von denen sie überall umgeben ist, verdichten sich für sie zu einer sich immer mehr steigernden, wunderbaren Alltagssinfonie: knarzende Wagenräder, das Klatschen der nassen Wäsche, wenn sie auf die Zuber geschlagen wird, das Klacken der Schöpfkellen in der Küche, das rhythmische Kratzen der Schwämme, mit denen die Kupferkessel geputzt werden … und hin und wieder auch mal ein Nieser.
Eines Tages entdeckt Teresina beim Putzen eine rätselhafte Kiste, die der konservative und bigotte alte Priester Perlina vor den Mädchen versteckt hält. Darin findet sie tatsächlich ein hochmodernes Pianoforte. Sie beginnt heimlich darauf zu spielen und wird dabei von anderen Mädchen entdeckt. Alle wollen nun das Pianoforte ausprobieren. Vor allem die ehrgeizige Giulia, die selbst komponiert, meldet ihre Ansprüche an. In nächtlichen Geheimsessions entwickelt sich aus der anfänglichen Konkurrenz zwischen den Mädchen eine inspirierende, kreative Freundschaft, die dazu führt, dass sie alle musikalisch zu neuen Höhenflügen gelangen.
Alle diese jungen Frauen, die eigentlich keine Chance haben, träumen vor dem Hintergrund der französischen Revolution und der Hoffnung auf Freiheit von einer rosigen Zukunft in einem selbstbestimmten Leben. Tatsächlich droht ihnen entweder die Zwangsverheiratung oder ein Leben hinter Klostermauern. Die Musik wird für sie alle immer mehr zum Eintritt in eine andere Welt, in der sie mutig und stark sind. Sie experimentieren gemeinsam mit Klängen und Rhythmen, entdecken nebenbei schon mal 200 Jahre früher den Jazz, den Rock’n Roll und die Popmusik und entfernen sich immer mehr von den Geboten der Klassik und von ihrem Lehrmeister Perlina, der von ihrem Treiben nichts ahnt. Er ist gerade dabei, eine Sinfonie zu Ehren des neuen Papstes zu komponieren, der anlässlich seiner Ernennung in St. Ignazio vorbeikommt.
Margherita Vicario spielt in ihrem musikalischen Märchen lustvoll mit Anachronismen. Dafür mixt sie die historisch verbürgten Tatsachen, wozu auch die venezianischen Mädchenorchester gehören, mit dramatischen Handlungselementen – von der heimlichen Liebe über die ungewollte Schwangerschaft bis zum erpresserischen Lover – und peppt auf diese Weise ihr Kostümdrama mit vielen kleinen Nebengeschichten auf. Sie durchwirkt das Ganze mit viel eingängiger Musik und macht schließlich daraus ein sowohl musikalisches als auch feministisches Bekenntnis. Damit möchte sie all die unbekannten Frauen würdigen, die seinerzeit und nicht nur in Venedig ihre Kreativität nicht öffentlich ausleben durften. Vicario nennt sie „gepresste Blumen“: verborgen zwischen den Seiten der Musikgeschichte, die vor allem von Männern geschrieben wurde. Mit einem atemstockend grandiosen Finale feiert sie diese Frauen und ihre rebellischen Zukunftsvisionen. (programmkino.de)