SAD JOKES
Tragikomische Reflexion der Wirklichkeit in all ihrer Absurdität
Eine Witzparade ist dem Film vorangestellt, und das ist witzig nicht nur wegen des Erzählens oder der Pointen, sondern auch wegen der provisorisch scheinenden Situation mit Scheinwerferequipment im Hintergrund, und auch wegen des lauten Gelächters eines Livepublikums im Off – oder eine Lachkonserve aus dem Schallarchiv? Jedenfalls geht der Prolog über in die fröhliche Stimmung von Mutter und Kind, sie haben eingekauft, Sonya (Haley Louise Jones) macht sich ans Zubereiten des Abendessens, Joseph (Fabian Stumm) kommt nach Hause – und die Situation beginnt zu wackeln, die Stimmung kippt. Denn Sonya ist aus der Klinik abgehauen, in einem Zwischenhoch hat sie ihre Depressionsbehandlung abgebrochen, und die Besorgnis und das Kümmern von Freund und Nachbarin und Mutter deutet sie als Gängelung und Manipulation, aus ihrer Sicht nachvollziehbar. Aber eben auch Auslöser einer neuen Krise, die latent immer da war, mit Aggression und Beleidigungen und Betroffenheit und Sorge.
Fabian Stumm, das erweist sich mit diesem Zweitling, ist ein Inszenierungsmeister. Absolut souverän behandelt er das Medium Film in so vielen Facetten, auf so vielen Ebenen! Schon sein Debüt Knochen und Namen war ein perfektes Beispiel für das Spiel mit Emotion, für Variationen über ein Thema, für Könnerschaft im Handwerk. Sad Jokes beweist nun, dass Stumm sein Metier tatsächlich beherrscht. In allen Aspekten kann er in seiner episodischen Handlung, in kurzen Szenen – oft mit langer Kameraeinstellung gedreht – Gefühle im Zuschauer hervorrufen, die er nach hartem Schnitt, in der nächsten Szene, um 180° umdreht. Er weiß mit seinen Darsteller*innen umzugehen, die in kürzester Zeit ganz große Auftritte hinlegen, in ganz kleinen Handlungsepisoden: Anneke Kim Sarnau als frisch operierte Krankenhauspatientin, die wohl auf Aufwachdroge irres Lachen mit innerem Schmerz verbindet, oder Ulrica Flach als schwedische Künstlerin, die mit großer Ausdruckskraft einen „Johanna von Orléans“-Schlussmonolog zitiert. Oder Marie-Lou Sellem und Anne Haug als Paar, das sich vor dem Hintergrund einer typischen Filmbranchen-Premierenfeier einen handfesten Ehekrach liefert. Verschärft wird diese Schauspielkunst, diese Schauspielführungskunst dadurch, dass Stumm, der Regisseur, auch die Hauptrolle innehat und daher in den Szenen selbst dabei ist, die er vom Regiestuhl aus zugleich steuert.
Ein weiterer Aspekt der Regie-Souveränität zeigt sich im Jonglieren zwischen Traurigkeit und Witz: dass sich Stumm dessen bewusst ist und dieses Bewusstsein mit in seinen Film aufnimmt, ohne prätentiös zu werden. Sein Joseph ist Filmregisseur, der ein neues Projekt vorhat, eine Komödie um einen, der an Automatonophobie leidet, einer Kondition der Furcht vor Puppen, hier speziell vor großen Statuen. Eine Komödie, die sein Produzent (Godehard Giese) nicht witzig findet, weil im Drehbuch letztlich alle den Tod finden. Ja, Komödie, ein schmaler Grat, ganz schwierig, muss natürlich gut sein! Ganz fein dargestellt, im richtigen Gleichgewicht, das Traurige unterschwellig ins Komische eingearbeitet, und welche Art? Schwarzer Humor, Satire, Slapstick? Natürlich lässt Stumm auf diesen kleinen innerfilmischen Exkurs-Dialog direkt eine Slapstickszene folgen, in der Joseph sich den Finger in einem Snackautomaten einklemmt – das ist witzig, und zugleich schmerzhaft.
Die Depression von Sonya, das Liebesleiden von Joseph, der sich drei Jahre vorher von seinem Partner getrennt hat, die Quasi-Alleinsorge um den kleinen Sohn Pino, den Joseph mit seiner besten Freundin Sonya aufzieht, die Suche nach einem enormen Statuenkopf, gestaltet nach dem eigenen Gesicht: Wo immer wieder schöne Pointen aufpoppen, ist es eigentlich doch recht traurig, und zwar, weil Stumm verstanden hat, wie das Absurde funktioniert, als Misstönendes im Alltag, als Verschiebung dessen, was normalerweise als normal erachtet wird. Das kann witzig sein, wenn wir als Betrachter genug innere Distanz haben, und es kann berührend sein, auf melancholische Art mitunter, wenn wir innerlich ins Geschehen gezogen sind. Stumm lässt uns in diesem Film beides erleben, Vexieremotionen in spielerischer Ersthaftigkeit, in trauriger Komik. (kino-zeit.de)