THE ROOM NEXT DOOR (OmU/DF)
FELIZ CUMPLEAÑOS, PEDRO
Das hochdekorierte und göttlich besetzte, neue Werk vom Meister des Melodrams – dem wir hiermit zum 75. gratulieren!
Pedro Almodóvar ist der Maestro des Melodrams. Seine Thematiken sind abgründig, er findet das Schlechte im Guten und das Gute im Schlechten. Seine Figuren zeigen Ungleichgewicht, Co-Abhängigkeiten, verschönte Traumata; Risse im Alltäglichen. Figuren können sich verwandeln: In „The Skin I Live In“ (2011) wird aus dem Mörder der Tochter die Geliebte des Vaters, in „Parallele Mütter“ (2021) wird aus einer Teenagerin eine Mutter und aus zwei Fremden eine Familie. Dieses Kino der unsichtbaren Transformationen geschieht vor unseren Augen, und trotzdem können wir es nicht sehen. Die Übergänge sind fließend. So nun auch in seinem neuen Film „The Room Next Door“. Aus alten Bekannten werden Freunde, aus Kampf wird Aufgabe und aus Leben soll der Tod werden.
Die erfolgreiche Schriftstellerin Ingrid (Julianne Moore) erfährt, dass ihre Jugendfreundin Martha (Tilda Swinton) an Krebs erkrankt ist. Vor der Diagnose war sie Kriegsjournalistin. Im Krankenhaus treffen sich die beiden Frauen wieder. Nach einiger Zeit hat Martha eine Bitte: Sie wolle sich umbringen, habe eine Pille, mit der sie friedlich einschlafen könne, und sie möchte, dass Ingrid dabei ist – im Raum nebenan. Ingrid willigt widerwillig ein, und so betrachten wir Marthas letzte Tage. Sie wird nicht ankündigen, wann sie die Pille nehmen wird; lediglich ihre geschlossene Tür soll das Geständnis sein.
The Room Next Door ist der erste Langfilm mit Tilda Swinton des Spaniers. Die erste Zusammenarbeit der beiden war The Human Voice (2020) – ein 30-minütiger, auf einem Theaterstück von Jean Cocteau basierender Kurzfilm, der eher wie ein Versuchsaufbau wirkt. Hier arbeiten die beiden überragend zusammen und Almodóvar zehrt jede letzte Faser aus Swintons Artifice.
Fährt sich die Beziehung zwischen Martha und Ingrid fest, bricht der Film in die Vergangenheit aus. Zusammen begehen wir ein gelebtes Leben. Jede erzählte Erinnerung gleicht einer pointierten Kurzgeschichte: von Liebenden im Kriegsgebiet, ins brennende Haus laufenden Ehemännern oder schwangeren Teenagern. Den abstrusen Situationen, in die Almodóvar seine Figuren hineinbefördert, wohnt stets ein Zwinkern inne. Gerade noch erzählte Ingrid von ihrer kranken Freundin, einen Augenblick später beschwert sich ein Personal-Trainer, dass er seine Kund*innen nicht mehr berühren dürfe. Anders als bei Komödien, bei denen man schon beinahe das Lachen aus der Konserve im Hintergrund hört, ist Almodóvars Humor konsequent. Witze werden nicht platziert, seine Figuren ähneln uns skurrilen Menschen einfach sehr. Ein Kino voller Fettnäpfchen.
Die Leerstellen und Ambivalenzen in Swintons Spiel lassen abwegige Interpretationen zu. Geht hier doch etwas völlig anderes vor sich? Bevor wir uns in Almodóvars Labyrinthen der Zwischenmenschlichkeit verirren, holt er uns ein. The Room Next Door ist geradlinig, lediglich gebrochen von Erinnerungsfetzen.
Zum Schluss spielt der Film mit offenen Karten. In einem Dialog wird eröffnet, welche Allegorie mit einer hinter der verschlossenen Tür sterbenden Freundin intendiert war: die Klimakrise. Eine Verbindung, die aus dem Nichts kommt und sicher manchem Zuschauer sauer aufstoßen wird. Anstelle einer fein ausgeklügelten Metapher bleibt diese Verbindung assoziativ: Anstatt aufzugeben, da die Tür eines Tages geschlossen sein wird, sollten wir nicht aufhören, jeden Tag nachzusehen. Völlig überschattet von der restlichen Eleganz des Filmes, ist dies trotzdem ein gelungenes Friedensangebot zwischen Optimisten und Pessimisten.
Steht die Tür offen oder ist sie geschlossen? Liegt eine Leiche unter uns oder folgt ein weiterer Tag? The Room Next Door fließt wie eine Ballade und ist in seiner Form wie ein Sonett: das Leben, die Krankheit, der Tod, dann die Stille danach. Bunte Schneeflocken fallen vom Himmel. Dann entlässt uns The Room Next Door zurück in unser Leben, voller Fragen, doch etwas weiser als vorher.
(kino-zeit.de)