Kinoptikum

DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS (OmU/DF)

So 02.02. 
18:00DF 

Epischer Familienthriller aus der Enge der iranischen Gesellschaft.

Als der strenggläubige und regimetreue Jurist Iman (Missagh Zareh) zum Untersuchungsrichter am Revolutionsgericht in Teheran ernannt wird, ist eine Pistole zum Selbstschutz eine Art Insignie der neu gewonnen Macht und zugleich ein erster Hinweis auf die fragilen Machtverhältnisse im selbsternannten Gottesstaat, der seit einigen Monaten von heftigen Protesten überzogen wird. Die Waffe, so bedeutet man ihm, diene der Selbstverteidigung gegen die subversiven Elemente, die die Allmacht der Mullahs herausfordern, er müsse seine Familie ja schützen können. Allein es wird sich später zeigen, dass die Pistole als Machtinstrument von anderen ganz anders gesehen wird – nicht als Mittel zur Selbstverteidigung, sondern als Machtinstrument eines autoritären Regimes, das gegen jeden Bedrohung von innen wie von außen nur mit Aggression antworten kann, um seine Machtposition zu verteidigen.
Iman als symbolischer Vertreter der staatlichen Macht erlebt die Bedrohungen am eigenen Leib und innerhalb der Familie: Zwar wird er von seiner Frau Najmeh (Soheila Golestani) anfangs bedingungslos und treu ergeben unterstützt, doch seine beiden Töchter Rezvan (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki) verfügen über andere Informationsquellen als die offiziellen über die Vorkommnisse im eigenen Land. Es ist ihre Generation, die gegen das Regime aufbegehrt, auf die Straßen geht und dort brutal zusammengeschlagen, verhaftet und nicht selten getötet oder zum Tode verurteilt wird.
Unübersehbar wird das Bröckeln patriarchaler Macht, ein Wesenskern der gerade stattfindenden Revolution im Iran mit ungewissem Ausgang, in einem kurzen Dialog am familiären Essenstisch, als Iman auf seine offizielle Sichtweise der Ereignisse beharrt: „Glaubt ihr denn nicht, dass ich es besser weiß?“ Mit dieser rhetorischen Frage soll seine Sichtweise und damit die des Regimes, dem er dient, als alleinige Wahrheit markiert und festzementiert werden. Doch die Töchter, deren Wirklichkeit längst eine andere geworden ist, wagen es, zu widersprechen und bringen damit den Zwiespalt innerhalb der iranischen Gesellschaft auf den Punkt: „Nein, du weißt es nicht besser, weil du die Dinge von innen siehst“, so entgegnet Rezvan und bringt damit auch die familiären Machtverhältnisse ins Wanken. Ein Affront, den der Vater nicht hinnehmen kann – und so bringt er die widerspenstigen Töchter in eine Unterkunft auf dem Land in der Nähe einer labyrinthisch verzweigten antiken Stadt, in der es schließlich zu einem Showdown kommt, in dessen Verlauf sich auch seine Frau von ihm abwendet. Am Ende zeigt sich, wie sehr die Macht der Männer buchstäblich auf tönernen Füßen steht.
Viel ist geschrieben worden über die Umstände der Flucht von Mohammad Rasoulof aus dem Iran kurz vor der Premiere seines Films beim Filmfestival in Cannes und über seine sicher nicht übertriebenen Befürchtungen, dass es nach der Premiere des Filmes dort zu weiteren Anklagen und Verurteilungen gegen ihn kommen würde – gerade erst war eine achtjährige Haftstrafe verhängt worden. Dies alles sorgte für einen bemerkenswerten persönlichen Auftritt des Regisseurs an der Croisette.
Das alles ist aber nur eine Seite der Betrachtung – die andere ist der Film selbst. Und der hält allen Repressalien zum Trotz und ungeachtet der Tatsache, dass der Film quasi im Geheimen entstehen musste, allen kritischen Betrachtungen locker stand. The Seed of the Sacred Fig verdichtet, dramatisiert und kondensiert die Vorkommnisse in Rasoulofs Heimat derart konzentriert, unterfüttert die familiäre Konstellation mit so viel psychologischer Tiefe und Glaubwürdigkeit und inszeniert das Geschehen derart dicht und spannend, dass man den Figuren und Entwicklungen atemlos folgt und die stattliche Laufzeit von beinahe drei Stunden in keiner Sekunde spürt – so sehr zieht der Film sein Publikum in den Bann.
Der Film besitzt eine Wucht und eine Wahrhaftigkeit, die nicht nur im Wettbewerb von Cannes kaum übertroffen werden konnte. Auch abseits davon gelingt Rasoulof mit seinem Film ein Musterbeispiel dafür, wie gut, wie drängend, aufrüttelnd und zugleich ästhetisch herausragend politisch relevantes Kino – in letzter Zeit gerne mal wegen angeblich mangelnder künstlerischer Qualität gescholten – sein kann. Ein Film, an den man sich erinnern wird als einen, der Geschichte geschrieben hat – und zwar nicht nur iranische. (kino-zeit.de)

FSK 16
Originaltitel: 
The Seed of the Sacred Fig
Land/Jahr: 
IRN 2024
Länge:
168 Min.
Regie:
Mohammad Rasoulof
Darsteller:
Missagh Zareh, Soheila Golestani, Mahsa Rostam