THE BRUTALIST (OmU/DF)
Grandioses Leinwand-Epos in monumentaler Breite und Länge
So , 30.03. Mit Pause!
Mi , 02.04. Mit Pause!
Sa , 05.04. Mit Pause!
So , 06.04. Mit Pause!
Die Ouvertüre von The Brutalist, bereits eine extrem imposante Sequenz in dem fast dreieinhalb Stunden langen und von einer Pause geteilten Film, ist eine entfesselte Reizüberflutung. Stimmengewirr, eine Sirene, ein Brief wird vorgetragen, Rückblenden in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, schemenhafte Gestalten eng an eng. Dazu der epochale Score von Daniel Blumberg, der mal mit lauten Blechbläsern und rührenden Trommeln die Gewalt der Geschichte durch den Kinosaal dröhnen lässt, mal mit tiefen Streichern einen treibenden Puls in den Film bringt und immer wieder eine Kakophonie industrieller Geräusche benutzt.
László Tóth, so heißt die Hauptfigur, gespielt von Adrien Brody, kämpft sich durch eine Menschenmenge ans Tageslicht und erblickt jene Freiheitsstatue, die ihm den Beginn eines neuen Lebens verspricht. Der jüdische Architekt hat den Holocaust und das Konzentrationslager überlebt und wandert 1947 in die USA aus. Seine Frau Erzsébet (Felicity Jones) muss derweil in Budapest bleiben und wartet darauf, ihm nachzureisen. Als László an den reichen Unternehmer Van Buren (Guy Pearce) gerät, bietet sich ihm eine ungeahnte Möglichkeit. Während das Talent des Architekten zunächst verkannt wird, er Kohlen schaufeln muss und dem Opium verfällt, winkt plötzlich der amerikanische Traum. Der gebürtige Ungar wird mit dem Bau eines monumentalen, brutalistischen Gemeindezentrums beauftragt, der schon bald zum konfliktreichen, beschwerlichen Unterfangen gerät und die alten Traumata des Architekten nach oben spült.
Es ist ein Film, den man auf diesem technischen Niveau nicht alle Tage zu sehen bekommt. In The Brutalist spielen die künstlerischen Gewerke, sei es das Kostüm, der Schnitt, die Musik, die Ausstattung, so virtuos zusammen, dass er unweigerlich zu den herausragenden Werken der vergangenen Jahre gehört. Gerade die Kameraarbeit von Lol Crawley setzt das Wechselspiel aus klaustrophobischem Psychodrama, dichten Dialogszenen und den gigantischen Eindrücken der USA im Wandel der Zeit, den Dimensionen der Bauwerke so eindrucksvoll in Szene, dass man sich an den analogen, im VistaVision-Format gedrehten Bildern kaum sattsehen kann.
Dazu liefert Adrien Brody eine facettenreiche Verwandlungsnummer und einen preiswürdigen darstellerischen Kraftakt ab, der sich durch so ziemlich alle Höhen und Tiefen spielt, die man für eine Figurenbiographie nur erfinden kann. Die Wahl und Dauer der Einstellungen verstehen es bestens, jede Regung, jedes Ringen um Worte, das unsichtbare Rasen der Gedanken in seinem Kopf mitreißend einzufangen und auszuhalten. Sein Schauspiel steht dabei im Zentrum eines archetypischen Stoffes, den Brady Corbet gemeinsam mit Mona Fastvold geschrieben hat: ein Visionär, der nach Herrlichkeit und Anerkennung strebt und am seelischen Abgrund taumelt. Eine migrantische Aufsteigergeschichte, die kein rosiges Bild des American Dream zeichnet, sondern dessen Lügen und Trugschlüsse in einem Klima der Dekadenz und Verschwendungssucht offenlegt. Zwei Männer geraten hier aneinander, um sich mit einem Prestige-Projekt in den Geschichtsbüchern zu verewigen. Mit jedem Jahr, der rasenden Zeit, die man zu transformieren versucht, visualisiert im Bild dahinziehender Straßen und Schienen und der Baukunst selbst, wächst der Druck der Arbeit.
In dem Ringen um Autonomie in einem kapitalistischen System, das auf Hierarchien und Ausbeutung gebaut ist, lässt Corbet eine seiner Figuren irgendwann den Plot und seinen Protagonisten noch einmal plakativ zusammenfassen. The Brutalist wird damit zugleich zu einer interessanten Auseinandersetzung mit dem bereits erwähnten Schein und Sein — dieses Mal in der Kunst selbst, die sich jenem System fügt, anderen nach dem Mund redet, große Ideen als Augenwischerei verkauft, um am Ende doch eine persönliche Tiefe und Bedeutungsschichten in sie hineinzulegen, die dort zuschlagen und zu wirken beginnen, wo sie Intentionen, Pläne und ökonomische Abmachungen überschreiten.
The Brutalist ist kein sonderlich erhellender Film über Architektur. Ebenso wenig das breite Sittengemälde, das er zunächst vielleicht suggeriert. Erstaunlich an Corbets Drama ist vielmehr, dass es, allem Größenwahn zum Trotz, eine so intime, geerdete Charakterstudie und ein Stück jüdischer Weltgeschichte über ein Paar auffächert, das an der Bewältigung der Vergangenheit fast zerbricht. Hier ganz konkret anhand des Holocaust-Traumas, das sich auch in die künstlerischen Bildwelten einschreibt. Es muss immer neue, teils selbstzerstörerische Wege finden, mit dem eigenen Schmerz, dem Gefühl des Nicht-Dazugehörens und der Entfremdung fertig zu werden. Schade nur, dass sich viele Facetten dessen, gerade was die Beziehungsdynamik von Erzsébet und Lásló anbelangt, nur sehr verknappt und behauptend erzählen. Das Drehbuch hat mitunter Mühe, die Gewichtung einzelner substanzieller Szenen abzuwägen.
Was Corbet in seinem Dekaden umfassenden und umherreisenden Erzählbogen anbietet, sind lediglich kurze Schlaglichter und hier trennt sich der Epigone von Regisseuren wie Sergio Leone oder Francis Ford Coppola, hinter deren Namen der Regisseur offenbar seinen eigenen zu zementieren versucht. Ihm fehlt manchmal das Können, auch solche charakterlichen Kernmomente überzeugend zu beleben und nicht bloß verstreichen zu lassen. Und ihm fehlt das Interesse daran, dass künstlerische Radikalität nicht nur im Sprengen von konventionellen Rahmungen besteht, sondern das dramatisch fundierte, romanartig ausgebreitete Erzählen und mediale Inszenieren selbst in den Blick nehmen muss.
The Brutalist träumt von der Kunst der Zukunft, von dem titanischen, überdauernden Werk. Ein Kino der Zukunft gibt es hier aber nicht zu sehen, sondern zuvorderst ein gespenstisches aus der Vergangenheit. The Brutalist öffnet damit ein Diskursfeld, das nach einem einmaligen Sehen nicht gänzlich auszureizen ist, aber bei dem zu erwartenden Preisregen und (berechtigen) Lobeshymnen hoffentlich nicht von der puren Nostalgie überblendet wird. Brady Corbets Film ist dermaßen klassizistisch umgesetzt, dass man ihn nicht nur zeitlos, sondern auch aus der Zeit gefallen bezeichnen kann.
Der amerikanische Regisseur erweist sich mit diesem Versuch eines amerikanischen Epos jedenfalls als oberster Agent und Hoffnungsträger eines bereits untergegangenen Hollywood-Kinos, der im Grunde inszenatorische Restauration und Mumifizierung betreibt. Er stillt die Sehnsucht, in der Gegenwart etwas Überdauerndes, einen kommenden Klassiker zu produzieren, der jedoch nur klassisch sein kann, indem er sich einem ganz bestimmten, alten Bild dessen, was Kino angeblich sein soll und wie es vermeintlich auszusehen hat, unterwirft. Man sehnt sich nach einem Werk, das dem etablierten westlichen Kanon ebenbürtig ist und Corbet scheint sich mühelos darin zu verewigen. Die stilistische Rückwärtsgewandtheit und Archaisierung der eigenen Kunstform bringt hier nachhaltig Beeindruckendes, Komplexes zustande, keine Frage.
The Brutalist ist ein exzellenter, aber ambivalenter Film. Was er in seiner künstlerischen Ideologie für ein Gegenwartskino bedeutet, das zwar Narrative umschreibt, aber formal nur noch dem eigenen Gestern nachjagt, gilt es ebenfalls kritisch zu befragen. (kino-zeit.de)