Kinoptikum Landshut

SOUNDTRACK TO A COUP D´ETAT (OmU)


Horizont:Innen
Fr.20.06. 
20:00 
So.22.06. 
11:00 
Di.24.06. 
19:00 

Eine echte „Freedom Suite“ rund um Jazz, Politik und Geschichte

Jazz ist mehr als Musik. Jazz ist durch und durch politisch. Das gilt besonders für die späten 1950er- und die 1960er-Jahre: In der Zeit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wurde der Jazz zur politischen Waffe mit verschiedenen Stoßrichtungen – national und global. Die mal treibenden, mal melancholischen, mal wütenden, mal anklagenden Klängen des Bebob und des Cool Jazz von Größen der Zeit wie Dizzy Gillespie, Max Roach, Abbey Lincoln, Duke Ellington und Louis Armstrong strukturieren und prägen den essayistischen Dokumentarfilm „Soundtrack to a Coup d‘Etat“ des belgischen Videokünstlers Johan Grimonprez.
Zentrales Thema des Films sind die politischen Entwicklungen der Dekolonisierung der späten 1950er- und frühen 1960er-Jahre, insbesondere die Ereignisse rund um die Unabhängigkeit des Kongo im Jahr 1960. In diesem Jahr wurden mehrere afrikanische Länder in die Unabhängigkeit entlassen. Im Kongo kristallisierte sich aber schnell ein Stellvertreterkonflikt des Kalten Kriegs heraus. Zudem verfolgte die frühere Kolonialmacht Belgien weiterhin wirtschaftliche Interessen im Land und arbeitete mit der amerikanischen Regierung und der CIA zusammen. Schon kurz nach der Unabhängigkeit des Kongo wurde der gewählte Ministerpräsident Patrice Lumumba aus dem Amt geputscht und dann mit Unterstützung der CIA und belgischer Armeekreise ermordet. Auch der damalige belgische König Baudouin I. soll von dem Mord gewusst und ihn gebilligt haben. Wenige Monate zuvor hatte Lumumba in seiner Rede zur Unabhängigkeit des Kongo im Beisein Baudouins die belgische Kolonialpolitik hart angeklagt.
Der Film erzählt das überwiegend mit Bildern der Zeit. Recht rastlos und ohne Off-Kommentar fächert er die Entstehung der blockfreien Staaten auf, und schildert die Geschichte der Unabhängigkeit des Kongos und der Ermordung Lumumbas. Textzitate von Beteiligten, Zeitzeugen und andere historische Quellen machen Grimonprez‘ Essayfilm zu einem Stück gewissenhaft recherchierter Geschichte, die viel Aufmerksamkeit abverlangt.
Verbunden wird diese Chronologie mit Bildern der berühmten UN-Vollversammlung 1960, bei der die neuen unabhängigen Staaten Afrikas in die UNO aufgenommen wurden und Chruschtschow mit dem Schuh auf sein Pult geschlagen haben soll. Schwarze Aktivisten wie Malcom X verfolgten die Ereignisse, und auch die Jazz-Szene zeigte sich politisiert. Nach der Ermordung Lumumbas stürmten 60 Aktivisten rund um die Jazzer Abbey Lincoln und Max Roach die Vollversammlung. Hier ergibt sich der „Soundtrack zum Staatsstreich“. Der Film macht die komplexe Situation deutlich, in der sich die schwarzen Musiker befanden: Viele von ihnen waren auch als Jazz Ambassadors im Auftrag der amerikanischen Regierung in der Welt unterwegs, um so den Kalten Krieg um hearts and minds für die USA zu gewinnen. Louis Armstrong war ausgerechnet zur Zeit des Putsches im Kongo auf Tournee und vertrat sein Land, in dem immer noch Rassentrennung herrschte.
Der Film ist ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit. Grimonprez stellt sich der schrecklichen Rolle, die sein Heimatland viele Jahrzehnte im Kongo gespielt hat und wirft neue Schlaglichter auf eine weniger bekannte Episode des Kalten Kriegs. In seinen medialen Collagen übernimmt er aber unreflektiert die Rolle Chruschtschows, der lauthals vor der UNO-Vollversammlung das Recht der vormals kolonisierten Ländern auf Selbstbestimmung forderte, diese Freiheit aber den Ostblock-Staaten nicht zugestand und mit dem Einmarsch in Ungarn 1956 aktiv zur Niederschlagung der Freiheitsbewegungen dort beitrug.
Ähnlich wie zuletzt Andres Veiel mit Riefenstahl lässt Grimonprez Bilder und Interviewte für sich sprechen, bezieht aber durch die Montage und den kommentierenden Jazz-Soundtrack eindeutig Stellung. Duke Ellington soll einmal gesagt haben, dass Jazz Freiheit sei. Das Freiheitsstreben in Afrika und die Bürgerrechtsbewegung in USA werden so von Grimonprez durch die Politik des Jazz auf komplexe Art miteinander verwoben. (kino-zeit.de)

FSK 16
Land/Jahr: 
B/NL/F 2024
Länge:
150 Min.
Regie:
Johan Grimonprez