Kinoptikum
ANATOMIE EINES FALLS (OmU/DF)
Family Entertainment
Sa 13.04. 
18:00(DF) 
Mo 15.04. 
19:00(DF) 
Fr 19.04. 
20:30(OmU) 
FSK 12
Und nochmals die Hüller-Festspiele mit Szenen einer Ehe
Sie muss erst etwas erleben, bevor sie schreiben kann, sagt die Schriftstellerin Sandra (Sandra Hüller) zu der jungen Studentin, die sie für ihre Doktorarbeit interviewt. In einem abgelegenen Chalet in den französischen Alpen wohnt Sandra, die eigentlich aus Deutschland stammt, wegen ihres Mannes aber nach Frankreich gezogen ist und die Sprache gut beherrscht. Doch in der Ehe mit Samuel (Samuel Theis) scheint es zu kriseln, offenbar um das Interview zu stören lässt Samuel laute Musik laufen.
Kurz nachdem die Studentin das Haus verlassen hat wird Samuel tot aufgefunden, augenscheinlich aus der dritten Etage des Chalets gestürzt, ob durch Selbstmord oder Fremdeinwirkung bleibt offen. Die Ermittlungen der Polizei geben kein klares Bild, das Fehlen von eindeutigen Beweisen lässt auch Sandra als Tatverdächtige möglich werden. Zusammen mit ihrem Anwalt Vincent (Swann Arlaud) bereitet sie sich auf eine mögliche Anklage vor und so kommt es auch: Die Autorin steht wegen Mord vor Gericht und auch ihr Sohn Daniel (Milo Machado-Graner) muss als Zeuge aussagen.
Weite Teile von Justine Triets „Anatomy of a Fall“ spielen vor Gericht, minutiös wird die langwierige Verhandlung geschildert, die Aussagen von Sandra, Daniel und anderen Zeugen. Doch auch wenn der Titel deutlich auf Otto Premingers Klassiker „Anatomy of a Murder“ anspielt hat Triet anderes im Sinn als einen bloßen Gerichtsfilm. Sie erzählt von der schwierigen, oft nicht zu beantwortenden Suche nach der Wahrheit, nach Fakten, vom meist zum Scheitern verurteilten Versuch, sich anhand von wenigen Indizien, versprengten Aussagen, Tonbandaufzeichnungen und anderen Hinweisen, ein klares Bild zu machen.
Unweigerlich muss man hier an #metoo denken, an die unzähligen Fälle, in denen in den letzten Jahren ein Mensch unter Verdacht geriet und schnell auf Grund weniger Hinweise, einzelnen Zeugenaussagen von der öffentlichen Meinung verurteilt wurde, mal zu Recht, mal aber auch zu Unrecht.
In „Anatomy of a Fall“ ist es nun interessanterweise eine Frau, deren Ambivalenzen sie verdächtig macht, die aber vor allem eine komplexe Person ist, die nicht einfach auf einen klaren Nenner zu bringen ist. Allein die Sprache macht es schwierig: Als Deutsche in einem fremden Land, gut Französisch sprechend, aber vor Gericht dann doch auf das universelle Englisch zurückgreifend, was allerdings für keinen der Beteiligten die Muttersprache ist. Lost in Translation sozusagen, was erst recht für manche Zeugenaussagen gilt, aber auch für scheinbar objektive Tonbandaufnahmen. Einen Streit zwischen dem Paar hatte Samuel insgeheim aufgenommen, der nun als Beweis der Anklage dient. Doch wie eindeutig ist das, was man da hört eigentlich? Anfangs unterlegt Triet die Tonbandaufnahme noch mit den Bildern des Streites, später springt sie in den Gerichtssaal zurück, so dass man nur hört, aber keine Bilder mehr sieht. Und wenn dann Geschirr zerbricht, Dinge zu Boden fallen muss man sich fragen, was denn da genau passiert ist und letztendlich zum Schluss kommen, dass man es nicht genau weiß.
Das mag unbefriedigend sein, gerade vor Gericht, gerade in der Realität, wenn es um #metoo-Vorwürfe geht, aber gerade in solchen Fällen darf sich eine demokratische Gesellschaft glücklich schätzen, dass die Unschuldsvermutung gilt. In diesem Sinne ist es nur konsequent, wie Justine Triet ihren Film enden lässt, wie sie sich einer klaren Antwort in Bezug auf Sandras Schuld entzieht. In der Rolle der undurchschaubaren Schriftstellerin brilliert Sandra Hüller, die zum zweiten Mal mit Triet zusammenarbeitete und mit ihrer Darstellung stark dazu beigetragen haben dürfte, dass ihre Regisseurin als erst dritte Frau nach Jane Campion und Julia Ducournau mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde.(programmkino.de)
Originaltitel: 
Anatomie d´une chute
Land/Jahr: 
F 2023
Länge:
151 Min.
Regie:
Justine Triet
Darsteller:
Sandra Hüller, Swann Arlaud, Milo Machado Graner

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